Forschungstitel:
Berücksichtigung von Temperatur und Feuchte bei Verarbeitungsprozessen faserbasierter Materialien
Arbeitsgruppe: Verpackungsmaterialien
Forschungsstelle und wissenschaftliche Betreuung:
IGF-Vorhaben: 21863 N
Finanzierung: BMWK
Laufzeit: 2021 – 2023
Problemstellung:
Die Prozesse zur Herstellung und Umformung von Verpackungen aus Papier und Karton wie z. B. Rillen, Prägen und Pressformen, werden täglich millionenfach angewendet. Dennoch beruhen die Auslegung von Werkzeugen, Prozessregelung und Optimierung zumeist auf Erfahrungswissen. Umfangreiche wissenschaftliche Untersuchungen der Prozesse und die Anwendung von modernen Methoden und Simulationen stellen in diesen Anwendungen noch immer eine Ausnahme dar.
Die Aussagekraft simulativer Studien ist bislang aufgrund der komplexen Formänderungsmechanismen im Fasermaterial und durch das intrinsische dynamische System von Temperatur und Feuchte, das mit diesen Formänderungsmechanismen in Wechselwirkung steht, begrenzt. Dem geringen Forschungsstand stehen ständig steigende Anforderungen an Verpackungen gegenüber. Mindesthaltbarkeitszeiträume werden erweitert und die Produktsicherheit muss garantiert werden. Gleichzeitig werden die Verpackungsformen zunehmend komplexer. Zudem stellen Verbraucher höhere Anforderungen an die Umweltverträglichkeit der Verpackung1 (Innventia AB 2013). Der mangelhafte Forschungsstand stellt auch im Hinblick auf die Verlagerung von Prozessregelung und Optimierung in die Softwaren der Maschinen ein Hindernis dar. Algorithmen zur automatisierten Prozessregelung beruhen auf empirischen, semi-empirischen, statistischen oder FE-Modellen. Letztere stehen für die Formprozesse in der Verpackungsherstellung und Verarbeitung von Kartonagen bislang nicht hinreichend zur Verfügung.
Die Grundlage für die Modellierung, systematisches Troubleshooting in der Produktion und Optimierung stellen verlässliche Kennwerte zur mechanischen und thermischen Charakterisierung des Packstoffs dar. Für Metalle und Kunststoffe können grundlegende Werte aus Tabellenbüchern entnommen werden, da für definierte Materialzusammensetzungen Richtwerte gemessen und publiziert wurden. In Datenblättern von Karton werden dagegen üblicherweise nur Werte für Dicke, Biegesteifigkeit, Weiße, Feuchtegehalt nach Papierproduktion, Oberflächenrauheit und Dehnbarkeit angegeben2 (StoraEnso 2017). Für weitere Kennwerte, wie E-Moduln oder Schubmoduln in den jeweiligen Richtungen, gibt es meist keine Angaben und auch keine Tabellenbücher oder Datenbanken, auf die Anwender zurückgreifen könnten.
Lösungsweg:
Die Basis dafür liefert eine systematische Charakterisierung der Material-eigenschaften für ausgewählte Kartonsorten. Diese Materialcharakterisierung in Abhängigkeit von Feuchte und Temperatur stellt heute noch eine große Herausforderung dar und ist mit hohem Aufwand verbunden, der in KMUs nicht getragen werden kann. Im Rahmen des vorliegenden Projekts werden zur Charakterisierung zwei sich ergänzende Strategien verfolgt. Zum einen werden experimentelle Untersuchungen bei kontrollierten Feuchte- und Temperatur-bedingungen durchgeführt, um das Materialverhalten bei den verschiedenen Randbedingungen zu erfassen. Zum anderen werden – basierend auf der Hypothese, dass Feuchte- und Temperaturtransportprozesse durch die Mikrostruktur bestimmt werden – diese experimentellen Untersuchungen durch Mikrostruktursimulationen an Fasernetzwerken ergänzt. Dadurch kann das notwendige, tiefgreifende Verständnis der Transportprozesse auf der Ebene der Fasernetzwerke gewonnen, sowie Parameter für den Wärme- und Feuchtetransport abgeleitet werden, welche zum Teil experimentell nicht erfassbar sind. Gleichzeitig kann dadurch das mit den experimentellen Aufbauten verbundene Forschungsrisiko minimiert werden. Die Material-charakterisierung wird im Hinblick auf die Anforderungen eines zu entwickelnden FEM-Materialmodells durchgeführt, soll Nutzern aber auch als Grundlage für empirische und semi-empirische Modelle dienen. Derzeit können in FEM-Modellen die kombinierten Einflüsse von Temperatur und Feuchte und deren Wechselwirkungen nicht abgebildet werden. Ein wesentliches Teilziel des Projektes ist daher die Entwicklung eines FEM-Materialmodells
zur Simulation des mechanischen Verhaltens von Karton in Verarbeitungsprozessen mit Betrachtung der kombinierten Einflüsse von Temperatur und Feuchte auf die mechanischen Eigenschaften. Für die Kalibrierung werden die experimentell und simulativ gewonnen Ergebnisse der Materialcharakterisierung herangezogen. Die Validierung des Modells erfolgt durch Berechnung unterschiedlicher Lastszenarien, die Kombinationen von in-plane und out-of-plane Belastungen mit verschiedenen Feuchte- und Temperaturwerten enthalten.
Schließlich wird das derart entwickelte und kalibrierte FEM-Materialmodell in Prozesssimulationen von Umformprozessen eingesetzt. Dadurch wird nicht nur die Anwendbarkeit der Vorgehensweise auf Probleme mit industrieller Relevanz sichergestellt, sondern es können auch erste Hinweise abgeleitet werden, wie zukünftig die betrachteten Prozesse optimiert werden können.
Die Projektergebnisse sollen Materialhersteller, Maschinenbauer, Werkzeugbauer und Materialveredler durch verbessertes Verständnis des Materialverhaltens in die Lage versetzen, das Material zielsicher und effizient einzusetzen und bereits in die Entwicklung neuer Verpackungen und Maschinen einzubeziehen und die damit verbundenen Herausforderungen aber auch Entwicklungspotentiale frühzeitig sichtbar zu machen. Die damit einhergehende Minimierung des Einsatzes von Kunststoffen in optimaler Funktionssynthese mit Papier bzw. Karton leistet einen Beitrag zur Lösung der gesamtgesellschaftlichen Herausforderung der Ressourcen- und Entsorgungsproblematik.
Ziel des Vorhabens:
Übergeordnetes Projektziel ist die Prozessoptimierung und gezielte Prozessregelung von Verarbeitungsprozessen mit Karton und Papier unter Berücksichtigung von Materialfeuchte und Materialtemperatur. Des Weiteren soll das Projekt THERMO-FIBRE-BASE dazu beitragen eine Modellbasis für Umform- und Fügevorgänge von Papier und Karton bereitzustellen, um die Entwicklung neuer Formteile, insbesondere Verpackungen, zukünftig simulativ stützen zu können. Es greift speziell den Einfluss der in Transport- und Lagervorgängen volatil variierenden Größe des materialeigenen Feuchteanteils und seines in der Produktion schwer kontrollierbaren Einflusses auf die Eigenschaften im Verarbeitungsprozess auf. Durch Mikrostruktursimulation werden der Verlauf der Temperatur-Feuchteentwicklung im dynamischen Prozess gekennzeichnet und Bedingungen für die strukturmechanischen Experimente, sowie Kennwerte zur Einbindung in die makroskopische FE-Modellierung geliefert. Es entsteht eine Modellbasis sowie eine Methode zur Anpassung seiner Parametrierung durch modifizierte Experimente, die den Feuchte- und Temperatureinfluss berücksichtigen. Ziel ist es, den Einfluss der Feuchte im Verarbeitungsprozess z. B. in Bezug auf Wärmeleitung, Dampfentwicklung sowie Verringerung der Festigkeit und Steifigkeit für die Industriepartner besser greifbar zu machen, damit Prozessregime (Verarbeitungszeiten, -temperaturen) gezielter genutzt und bereits in der Entwicklung neuer Produkte (Materialien, Verpackungen und Maschinen) berücksichtigt werden können.
Das hier vorgestellte IGF-Vorhaben wird im Rahmen des Programms „Industrielle Gemeinschaftsforschung (IGF)“ durch das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages gefördert.